In Bibliothekskatalogen werden nichtlateinische Schriften nach alter Regel umschrieben. Mittel der Wahl bei der Umschrift nichtlateinischer Alphabetschriften ist die Transliteration – so etwa bei der Umschrift der slawischen kyrillischen Buchstaben oder des griechischen Alphabets[1].
Jedoch existierte in der Mongolistik lange kein Transliterationssystem für die sogenannte „altmongolische“ Schrift. In Ermangelung einer brauchbaren Transliteration nutzte man in der Wissenschaft für die lateinschriftliche Wiedergabe mongolischer Termini meist die von Nicholas Poppe in seiner „Grammar of written Mongolian“ verwandte Transkription.[2] Diese gern als „Poppe-Umschrift“ apostrophierte Wiedergabe der mongolischen Schrift ist aber offenbar keine auf ihn allein zurückzuführende Umschrift, da Poppe sie in seiner Grammatik so charakterisiert: „The transcription used in this book is that found in most scientific works dealing with the Mongolian language“.[3]
Nun ist diese Transkription aber keine Transliteration. Sie beabsichtigt gerade nicht, die Grapheme der mongolischen Schrift buchstabengetreu wiederzugeben, sondern versteht sich als eine lateinschriftliche Wiedergabe, die sich zwar aus der Originalschrift ableitet, aber im Ergebnis einer phonetisch ausgerichteten Lautschrift entspricht. Es ist daher durchaus folgerichtig, dass in Poppes Grammatik der Abschnitt über die Lautlehre (§ 15-57) dem Abschnitt über Schrift, Buchstaben und Orthographie (§ 58 ff.) vorausgeht. In dem „Phonetics“ überschriebenem Kapitel werden die Regeln beschrieben, die in phonetischer und phonotaktischer Hinsicht für die Funktionsweise der Transkription bestimmend sind. In ihrer Herangehensweise ist die Umschrift nach Poppe jenem Konzept nicht unähnlich, das in den Ostasienwissenschaften als „Lesung“ bekannt ist.
Die Staatsbibliothek zu Berlin hat in den neunzehnhundertneunziger Jahren damit begonnen, in größerem Umfang originalsprachige Literatur in mongolischer Schrift zu erwerben und in ihren Katalogen zu verzeichnen.[4] Zu diesem Zeitpunkt gab es für deutsche Bibliotheken keine verbindlichen Regelungen zur Umschrift der mongolischen Schrift (eine Feststellung, die nach wie vor zutrifft). Es zeigte sich aber sehr bald, dass eine Transkription nach Poppe kein geeignetes Instrument zur Katalogisierung größerer Textmengen sein kann. Insbesondere bei Namen und Geographica – die bei Büchern naturgemäß häufig vorkommen – ist es oft praktisch unmöglich, die „richtige“ Phonetik eines Wortes zu ermitteln. Hier wirkt sich die Tatsache aus, dass es bis heute kein einziges Wörterbuch gibt, das eine verbindliche Transkription nach Poppe ausweisen würde. Was schon für die einfachen Lexeme gilt, ist umso mehr hinsichtlich der schlicht nicht existierenden Nachschlagewerke für persönliche Namen oder Ortsnamen zu beklagen. Wollte man alle in der täglichen Praxis vorkommenden Begriffe in Sinne einer richtigen Lesung nach Poppe bestimmen, käme dies einem Normierungsvorhaben gleich, für die selbst an der Staatsbibliothek zu Berlin jegliche Voraussetzung fehlt.
Ein echtes Transliterationssystem für die mongolische Schrift wurde erst in den neunziger Jahren von Michael Balk und Juha Janhunen entwickelt.[5] Da die Staatsbibliothek an der Entwicklung eines solchen Systems ein unabweisbares Interesse hatte und in Person des Erstgenannten an dieser Entwicklung unmittelbar beteiligt war, wurde die später als „Balk-Janhunen Romanization“ (BJR) bezeichnete Transliteration ohne weitere Umschweife für die Katalogisierung eingesetzt. Für dieses Vorgehen kann geltend gemacht werden, dass es keine für Bibliotheken verbindliche Regeln gab und das Poppe-System für die Belange der Bibliothek nicht geeignet ist.
Die Transliteration nach BJR hat sich bislang als Instrument der Katalogisierung in überraschend guter Weise bewährt. Da es ohne Sonderzeichen auskommt, ist es einfach zu handhaben. Aufgrund des logischen und linguistischen Ansprüchen – besonders hinsichtlich der Kategorien „Graphem“ und „Phonem“ – genügenden Aufbaus ist sie strukturell unmittelbar einleuchtend und, wie sich gezeigt hat, relativ leicht zu vermitteln. Da es sich um eine graphematische Wiedergabe der Schrift handelt, die nicht zu einer bestimmten Aussprache nötigt – wie dies bei einer erklärtermaßen an der Phonetik orientierten Transkription der Fall sein muss –, kann BJR so gelesen werden, wie mit der mongolischen Schrift vertraute Mongolen heutzutage selbst ihre Schrift natürlicherweise lesen: in der ihnen vertrauten Artikulation, die sich von der in Poppes Grammatik beschriebenen Sprachstufe gänzlich unterscheidet. Nicht zuletzt kann BJR ohne einen Thesaurus im Sinne eines umfassenden Verzeichnisses möglicher Lesungen benutzt werden. Der Bearbeiter ist also bei der Umschrift stummer Buchstaben nicht dazu gezwungen, stets eine lautliche Interpretation dieser Buchstaben liefern zu müssen (wobei man ja durchaus auch mal „danebenliegen“ kann).
Allerdings hat sich gezeigt, dass nicht alle Nutzer unserer Kataloge mit BJR vertraut sind und aus Gewohnheit oder Unkenntnis erwarten, die Literatursuche auch mit der Umschrift nach Poppe vornehmen zu können. Da sich Poppes Transliteration aus der Schrift ableitet und diese phonetisch interpretiert, BJR aber nichts anderes ist als eine exakte alphabetische Notation dieser Schrift, müsste es doch möglich sein, mit Hilfe eines geeigneten Programms aus der Schrift alle „Lesungen“ automatisch zu erzeugen, die sich im Sinne des von Poppe beschriebenen phonetischen Interpretationsspielraums aus einer vorliegenden orthographischen Tatsache ergeben können. Es ist Matthias Kaun gewesen, der eben diese Idee hatte: Wenn wir aus BJR alle theoretisch möglichen „Lesungen“ ableiten und im Katalog als zusätzlichen Sucheinstieg anbieten, wird die „richtige“ oder vom Benutzer erwartete Transkription in jedem Fall dabei sein. Er oder sie bekommt dann zwar im Katalog den Eintrag in BJR angezeigt, wird den bibliographischen Nachweis aber auch dann finden, wenn die Abfrage der Stichwörter mit der Umschrift nach Poppe vorgenommen wurde.
Brent Ho hat mit viel Geduld das Programm geschrieben, auf dem die hier angebotenen Such- und Findmöglichkeiten beruhen. Für die fachliche Seite zeichnet Michael Balk verantwortlich, der seinem Freund und Kollegen Oliver Corff für eine Reihe entscheidender Hinweise dankbar ist.
Hier die Transliterationstabelle, die sich in Poppes Grammatik findet:[6]
Die korrespondierenden Transliterationen nach BJR sehen so aus:
|
Transkription
nach Poppe |
Transliteration nach Balk und Janhunen |
|
Initial |
Medial |
Final |
1 |
a |
va |
a |
a e |
2 |
e |
a |
a |
a e |
3 |
i |
vi |
i |
i |
4 |
o u |
vu |
u |
u |
5 |
ö ü |
vui |
u |
u |
6 |
n |
n |
n v |
v |
7 |
ng |
|
vg |
vg |
8 |
q |
q |
q |
q |
9 |
γ |
qh |
qh q |
qh q |
10 |
b |
b |
b |
b |
11 |
p |
p |
p |
|
12 |
s |
s |
s |
s z |
13 |
š |
sh |
sh |
sh |
14 |
t d |
t |
d t |
t |
15 |
l |
l |
l |
l |
16 |
m |
m |
m |
m |
17 |
č |
c |
c |
|
18 |
ǰ |
j |
z |
|
19 |
y |
j y |
j y |
|
20 |
k g |
g |
g |
g |
21 |
k |
k |
k |
|
22 |
r |
r |
r |
r |
23 |
v |
w |
w |
|
24 |
h |
vh |
h |
|
Vergleicht man die beiden Formen der Umschrift, sticht zunächst die unterschiedliche Behandlung der anlautenden Vokale ins Auge. In der mongolischen Schrift wird vor einem Vokal im Anlaut ein konsonantisches Element gesetzt, das funktional einem Alif zur Bezeichnung des als Phonem gewerteten Stimmabsatzes etwa im Arabischen ähnlich ist.[7] Dieses traditionell als „Diadem“ (mongolisch: tidim = titim = титим) bezeichnete alphabetische Element, das im Wortanlaut auch in Kombination mit dem Buchstaben h auftaucht, wird in der Umschrift nach Poppe nicht berücksichtigt. Das Fehlen einer „Krone“ vor dem Vokal a markiert eine palatale Vokalisation des Wortes und somit den Anlaut e.
Die beiden Formen des Auslauts – zum einen der nach rechts geschwungene „Schweif“ (sagul = segül = сүүл), zum zweiten der nach links geschwungene Endstrich (vurgica = orkiča = орхиц) – werden in BJR durch a versus e unterschieden, vgl. sara = sara „Mond“ versus sare = sar-a „Monat“ (kyrillisch beides: сар). In der Transkription nach Poppe richtet sich der Vokal (a oder e) naturgemäß nicht nach der Schrift, sondern nach der Vokalharmonie.
Dem in der Transkription ausgedrückten phonetischen Unterschied zwischen den Vokale o u ö ü entspricht in der Schrift weitgehend ein einfaches u, dessen mongolische Bezeichnung nicht ganz unzutreffend „Bauch“ lautet (gadasu = gedesü = гэдэс). Während in der Mitte und am Ende eines Wortes in der Schreibung keinerlei Differenz erkennbar ist, wird lediglich im Anlaut zwischen vu = o/u und vui = ö/ü unterschieden; in der Transliteration wird daher im Gegensatz zur Transkription auch nur dieser sichtbare Teil ausgedrückt.
Hinsichtlich der Lautbuchstaben n und ng ist zu bemerken, dass die Transliteration den Unterschied zwischen einem punktierten n und einem unpunktieren v exakt markiert, während die Transkription unterschiedslos ein n einsetzt. Es ist in der modernen Rechtschreibung üblich, am Silbenanfang mit Punkt und am Silbenende ohne Punkt zu orthographieren: nidunuv = nidunun = ноднин „Vorjahr“; vuivdur = öndür = өндөр „hoch“; vuivggadu = önggetü = өнгөт „bunt“.
Kein Unterschied zwischen der Transliteration nach Poppe und der Transliteration nach Balk und Janhunen ergibt sich für die Buchstaben q b p l m k r.
Der durch ein Gamma wiedergegebene Laut entspricht in der Schrift entweder einem durch zwei Punkte markiertem q am Anfang einer Silbe – in BJR als qh notiert – oder einem unmarkierten einfachen q im Ausgang derselben, vgl. qhadaqhadu = ɣadaɣadu = гадаад „äußerer; bulaq = bulaɣ = булаг „Quelle“; qhaqcaqav = ɣaɣčaqan = ганцхан „allein“.
Die in Reihe 12 notierte abweichende Form eines auslautenden s wird in BRJ durch z markiert, was sich in der lautbezogenen Umschrift nach Poppe naturgemäß nicht niederschlägt. Der Auslaut z ist allerdings in moderner Orthographie nicht üblich. Die in Reihe 13 aufgeführte, durch zwei rechts des Zeichens geschriebene Punkte markierte Variante des Buchstabens s wird in BJR nicht-diakritisch durch sh anstatt š wiedergeben.
Hinsichtlich der Dentale kennt die Schrift ein in initialer Position klar ausgeschriebenes t, das in medialer Position vor einem Konsonanten oder am Wortende graphisch etwas verkürzt erscheint. Dieses Zeichen wird in BJR einheitlich als t wiedergegeben: tatguburi = tedkübüri = тэтгэвэр „Unterstützung, Pension“; vaqamat = aqamad = ахмад „Senioren“. Dagegen wird das Zeichen d in echten mongolischen Wörtern nur in intervokalischer Position auftauchen: madaral = mederel = мэдрэл „Sensation“; baqhadur = baɣatur = баатар „Held“. In der Transkription richtet sich die Verteilung von t und d allein nach der angenommenen Aussprache.
Der in initialer und medialer Position anzutreffende Buchstabe c wird in der Transliteration ohne Haček geschrieben (bicig = bičig = бичиг „Schrift“). Eine graphische Variante dieses Buchstabens, die nur in medialer Position erscheint, ist in der Transliteration durch z ausgedrückt: qhazar = ɣaǰar = газар. Derselbe Laut wird im Anlaut eines Wortes mit dem Buchstaben j geschrieben: jiqhasu = ǰiɣasu = загас „Fisch“. Die beiden mit Poppe unter ǰ zusammengefassten Zeichen (in BJR durch j und z transliteriert) sind graphisch gesehen durchaus unähnlich.
Der stimmhafte palatale Approximant (das deutsche „Jot“) wird bei Poppe nach englischem Muster einheitlich durch y wiedergegeben, auch wenn es in moderner Orthographie zwei unterschiedliche Zeichen gibt, die auch in Unicode klar unterschieden werden.[8] In der Transliteration nach Balk und Janhunen wird U+1835 (Mongolian letter JA) durch j und U+1836 (Mongolian letter YA) durch y ausgedrückt : sajiv = sayin = сайн „gut“ versus sayiqav = sayiqan = саяхан „neulich“
Der in Reihe 20 aufgeführte Buchstabe g wird in der Transliteration einheitlich behandelt. In der Umschrift nach Poppe richtet sich die Wiedergabe nach der Aussprache: gar = ger = гэр „Jurte“ versus gala = kele = хэл „Sprache“. Der in Reihe 21 genannte Buchstabe kommt nur in Fremdwörtern vor und bleibt, wie bereits erwähnt, unverändert (zum Beispiel: kilugram = kilugram = килограмм “Kilogramm”). Dasselbe gilt für den Buchstaben in Reihe 23, der häufig in Namen und Begriffen tibetischen, sanskritischen oder chinesischen Ursprungs auftaucht, zum Beispiel: wavgzil = vangǰil = ванжил „dbang-rgyal“; wcir = včir = очир „vajra“; wavg = vang = ван „Prinz“.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die mögliche Korrelation zwischen den nach Balk und Janhunen transliterierten mongolischen Buchstaben und ihren nach Poppe transkribierten Entsprechungen:
BJR |
Poppe |
a |
a e |
b |
b |
c |
č |
d |
t d |
e |
a e |
g |
g k |
h |
h |
i |
i |
j |
ǰ y |
k |
k |
l |
l |
m |
m |
n |
n |
p |
p |
q |
q γ |
qh |
γ |
r |
r |
s |
s |
sh |
š |
t |
t d |
u |
o u ö ü |
v |
n |
va |
a |
vg |
ng |
vh |
h |
vi |
i |
vu |
o u |
vui |
ö ü |
w |
v |
z |
s ǰ |
[1] In den „Regeln für die alphabetische Katalogisierung“ (RAK) wurden die verbindlichen Transliterationen in der „Anlage 5“ aufgeführt. Die für deutsche wissenschaftliche Bibliotheken bisher gültigen RAK wurden 2015 durch die „Resource Description and Access“ (RDA) genannten Regelungen ersetzt. Bestimmungen zur Umschrift gibt es zur Zeit für Arabisch, Armenisch, Bengali, Chinesisch, Devanagari, Georgisch, Gujarati, Hebräisch, Japanisch, Kannada, Koreanisch, Kyrillisch, Malayalam, Oriya, Sinhala, Tamil und Telugu.
[2] Nicholas Poppe: Grammar of written Mongolian. Wiesbaden : Harrassowitz, 1954 (Porta linguarum orientalium)
[3] Grammar of written Mongolian, S. XIII.
[4] Kyrillisch gedruckte Werke aus der „äußeren“ Mongolei wurden nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in der Ost-Berliner Staatsbibliothek als auch in ihrem West-Berliner Pendant in beachtlichem Umfang gesammelt. Ein Publikationsgeschehen in mongolischer Schrift lässt für die zu China gehörige Innere Mongolei erst in den achtziger Jahren feststellen; während der Kulturrevolution und den darauf unmittelbar folgenden Jahren gab es keine nennenswerte Buchproduktion und daher auch keine Möglichkeit, mongolisch gedruckte Bücher zu erwerben.
[5] Michael Balk & Juha Janhunen: „A new approach to the Romanization of Written Mongol“. Writing in the Altaic World : proceedings of the 41st Annual Meeting of the Permanent International Altaistic Conference (PIAC). Helsinki : Finnish Oriental Society, 1999 (Studia orientalia ; 87), S. 17-27. – Juha Janhunen: „Written Mongol“. The Mongolic languages. London [u.a.] : Routledge, 2003 (Routledge language family series), S. 30-56. – Michael Balk: „Sieben Strophen des Udānavarga in mongolischer Version“. Per Urales ad Orientem : iter polyphonicum multilingue ; festskrift tillägnad Juha Janhunen på hans sextioårsdag den 12 februari 2012. Helsinki : Suomalais-Ugrilainen Seura, 2012 (Suomalais-Ugrilaisen Seuran toimituksia), S. 25-37.
[6] Grammar of written Mongolian, S. 17.
[7] Vgl. Wolfdietrich Fischer: Grammatik des klassischen Arabisch. Wiesbaden : Harrassowitz, 2002 (Porta linguarum orientalium), S. 10 (§ 14).
[8] http://www.unicode.org/charts/PDF/U1800.pdf.