CrossAsia Newsletter

Die Suche nach mongolischer Literatur und die „Balk-Janhunen Romanization“

In Bibliothekskatalogen werden nichtlateinische Schriften nach alter Regel umschrieben. Mittel der Wahl bei der Umschrift nichtlateinischer Alphabetschriften ist die Transliteration – so etwa bei der Umschrift der slawischen kyrillischen Buchstaben oder des griechischen Alphabets[1].

Jedoch existierte in der  Mongolistik lange kein Transliterationssystem für die sogenannte „altmongolische“ Schrift. In Ermangelung einer brauchbaren Transliteration nutzte man in der Wissenschaft für die lateinschriftliche Wiedergabe mongolischer Termini meist die von Nicholas Poppe in seiner „Grammar of written Mongolian“ verwandte Transkription.[2] Diese gern als „Poppe-Umschrift“ apostrophierte Wiedergabe der mongolischen Schrift ist aber offenbar keine auf ihn allein zurückzuführende Umschrift, da Poppe sie in seiner Grammatik so charakterisiert: „The transcription used in this book is that found in most scientific works dealing with the Mongolian language“.[3]

Nun ist diese Transkription aber keine Transliteration. Sie beabsichtigt gerade nicht, die Grapheme der mongolischen Schrift buchstabengetreu wiederzugeben, sondern versteht sich als eine lateinschriftliche Wiedergabe, die sich zwar aus der Originalschrift ableitet, aber im Ergebnis einer phonetisch ausgerichteten Lautschrift entspricht. Es ist daher durchaus folgerichtig, dass in Poppes Grammatik der Abschnitt über die Lautlehre (§ 15-57) dem Abschnitt über Schrift, Buchstaben und Orthographie (§ 58 ff.) vorausgeht. In dem „Phonetics“ überschriebenem Kapitel werden die Regeln beschrieben, die in phonetischer und phonotaktischer Hinsicht für die Funktionsweise der Transkription bestimmend sind. In ihrer Herangehensweise ist die Umschrift nach Poppe jenem Konzept nicht unähnlich, das in den Ostasienwissenschaften als „Lesung“ bekannt ist.

Die Staatsbibliothek zu Berlin hat in den neunzehnhundertneunziger Jahren damit begonnen, in größerem Umfang originalsprachige Literatur in mongolischer Schrift zu erwerben und in ihren Katalogen zu verzeichnen.[4] Zu diesem Zeitpunkt gab es für deutsche Bibliotheken keine verbindlichen Regelungen zur Umschrift der mongolischen Schrift (eine Feststellung, die nach wie vor zutrifft). Es zeigte sich aber sehr bald, dass eine Transkription nach Poppe kein geeignetes Instrument zur Katalogisierung größerer Textmengen sein kann. Insbesondere bei Namen und Geographica – die bei Büchern naturgemäß häufig vorkommen – ist es oft praktisch unmöglich, die „richtige“ Phonetik eines Wortes zu ermitteln. Hier wirkt sich die Tatsache aus, dass es bis heute kein einziges Wörterbuch gibt, das eine verbindliche Transkription nach Poppe ausweisen würde. Was schon für die einfachen Lexeme gilt, ist umso mehr hinsichtlich der schlicht nicht existierenden Nachschlagewerke für persönliche Namen oder Ortsnamen zu beklagen. Wollte man alle in der täglichen Praxis vorkommenden Begriffe in Sinne einer richtigen Lesung nach Poppe bestimmen, käme dies einem Normierungsvorhaben gleich, für die selbst an der Staatsbibliothek zu Berlin jegliche Voraussetzung fehlt.

Ein echtes Transliterationssystem für die mongolische Schrift wurde erst in den neunziger Jahren von Michael Balk und Juha Janhunen entwickelt.[5] Da die Staatsbibliothek an der Entwicklung eines solchen Systems ein unabweisbares Interesse hatte und in Person des Erstgenannten an dieser Entwicklung unmittelbar beteiligt war, wurde die später als „Balk-Janhunen Romanization“ (BJR) bezeichnete Transliteration ohne weitere Umschweife für die Katalogisierung eingesetzt. Für dieses Vorgehen kann geltend gemacht werden, dass es keine für Bibliotheken verbindliche Regeln gab und das Poppe-System für die Belange der Bibliothek nicht geeignet ist.

Die Transliteration nach BJR hat sich bislang als Instrument der Katalogisierung in überraschend guter Weise bewährt. Da es ohne Sonderzeichen auskommt, ist es einfach zu handhaben. Aufgrund des logischen und linguistischen Ansprüchen – besonders hinsichtlich der Kategorien „Graphem“ und „Phonem“ – genügenden Aufbaus ist sie strukturell unmittelbar einleuchtend und, wie sich gezeigt hat, relativ leicht zu vermitteln. Da es sich um eine graphematische Wiedergabe der Schrift handelt, die nicht zu einer bestimmten Aussprache nötigt – wie dies bei einer erklärtermaßen an der Phonetik orientierten Transkription der Fall sein muss –, kann BJR so gelesen werden, wie mit der mongolischen Schrift vertraute Mongolen heutzutage selbst ihre Schrift natürlicherweise lesen: in der ihnen vertrauten Artikulation, die sich von der in Poppes Grammatik beschriebenen Sprachstufe gänzlich unterscheidet. Nicht zuletzt kann BJR ohne einen Thesaurus im Sinne eines umfassenden Verzeichnisses möglicher Lesungen benutzt werden. Der Bearbeiter ist also bei der Umschrift stummer Buchstaben nicht dazu gezwungen, stets eine lautliche Interpretation dieser Buchstaben liefern zu müssen (wobei man ja durchaus auch mal „danebenliegen“ kann).

Allerdings hat sich gezeigt, dass nicht alle Nutzer unserer Kataloge mit BJR vertraut sind und aus Gewohnheit oder Unkenntnis erwarten, die Literatursuche auch mit der Umschrift nach Poppe vornehmen zu können. Da sich Poppes Transliteration aus der Schrift ableitet und diese phonetisch interpretiert, BJR aber nichts anderes ist als eine exakte alphabetische Notation dieser Schrift, müsste es doch möglich sein, mit Hilfe eines geeigneten Programms aus der Schrift alle „Lesungen“ automatisch zu erzeugen, die sich im Sinne des von Poppe beschriebenen phonetischen Interpretationsspielraums aus einer vorliegenden orthographischen Tatsache ergeben können. Es ist Matthias Kaun gewesen, der eben diese Idee hatte: Wenn wir aus BJR alle theoretisch möglichen „Lesungen“ ableiten und im Katalog als zusätzlichen Sucheinstieg anbieten, wird die „richtige“ oder vom Benutzer erwartete Transkription in jedem Fall dabei sein. Er oder sie bekommt dann zwar im Katalog den Eintrag in BJR angezeigt, wird den bibliographischen Nachweis aber auch dann finden, wenn die Abfrage der Stichwörter mit der Umschrift nach Poppe vorgenommen wurde.

Brent Ho hat mit viel Geduld das Programm geschrieben, auf dem die hier angebotenen Such- und Findmöglichkeiten beruhen. Für die fachliche Seite zeichnet Michael Balk verantwortlich, der seinem Freund und Kollegen Oliver Corff für eine Reihe entscheidender Hinweise dankbar ist.

Hier die Transliterationstabelle, die sich in Poppes Grammatik findet:[6]

Die korrespondierenden Transliterationen nach BJR sehen so aus:

Transkription

nach Poppe

Transliteration nach Balk und Janhunen
Initial Medial Final
1 a va a a        e
2 e a a a        e
3 i vi i i
4 o        u vu u u
5 ö        ü vui u u
6 n n n        v v
7 ng vg vg
8 q q q q
9 γ qh qh        q qh        q
10 b b b b
11 p p p
12 s s s s        z
13 š sh sh sh
14 t        d t d        t t
15 l l l l
16 m m m m
17 č c c
18 ǰ j z
19 y j        y j        y
20 k        g g g g
21 k k k
22 r r r r
23 v w w
24 h vh h

 

Vergleicht man die  beiden Formen der Umschrift, sticht zunächst die unterschiedliche Behandlung der anlautenden Vokale ins Auge. In der mongolischen Schrift wird vor einem Vokal im Anlaut ein konsonantisches Element gesetzt, das funktional einem Alif zur Bezeichnung des als Phonem gewerteten Stimmabsatzes etwa im Arabischen ähnlich ist.[7] Dieses traditionell als „Diadem“ (mongolisch: tidimtitim = титим) bezeichnete alphabetische Element, das im Wortanlaut auch in Kombination mit dem Buchstaben h auftaucht, wird in der Umschrift nach Poppe nicht berücksichtigt. Das Fehlen einer „Krone“ vor dem Vokal a markiert eine palatale Vokalisation des Wortes und somit den Anlaut e.

Die beiden Formen des Auslauts – zum einen der nach rechts geschwungene „Schweif“ (sagul = segül = сүүл), zum zweiten der nach links geschwungene Endstrich (vurgica = orkiča = орхиц) – werden in BJR durch a versus e unterschieden, vgl. sara = sara „Mond“ versus sare = sar-a „Monat“ (kyrillisch beides: сар). In der Transkription nach Poppe richtet sich der Vokal (a oder e) naturgemäß nicht nach der Schrift, sondern nach der Vokalharmonie.

Dem in der Transkription ausgedrückten phonetischen Unterschied zwischen den Vokale o u ö ü entspricht in der Schrift weitgehend ein einfaches u, dessen mongolische Bezeichnung nicht ganz unzutreffend „Bauch“ lautet (gadasu = gedesü = гэдэс). Während in der Mitte und am Ende eines Wortes in der Schreibung keinerlei Differenz erkennbar ist, wird lediglich im Anlaut zwischen vu = o/u und vui = ö/ü unterschieden; in der Transliteration wird daher im Gegensatz zur Transkription auch nur dieser sichtbare Teil ausgedrückt.

Hinsichtlich der Lautbuchstaben n und ng ist zu bemerken, dass die Transliteration den Unterschied zwischen einem punktierten n und einem unpunktieren v exakt markiert, während die Transkription unterschiedslos ein n einsetzt. Es ist in der modernen Rechtschreibung üblich, am Silbenanfang mit Punkt und am Silbenende ohne Punkt zu orthographieren: nidunuv = nidunun = ноднин „Vorjahr“; vuivdur = öndür = өндөр „hoch“; vuivggadu = önggetü = өнгөт „bunt“.

Kein Unterschied zwischen der Transliteration nach Poppe und der Transliteration nach Balk und Janhunen ergibt sich für die Buchstaben q b p l m k r.

Der durch ein Gamma wiedergegebene Laut entspricht in der Schrift entweder einem durch zwei Punkte markiertem q am Anfang einer Silbe – in BJR als qh notiert – oder einem unmarkierten einfachen q im Ausgang derselben, vgl. qhadaqhadu = ɣadaɣadu = гадаад „äußerer; bulaq = bulaɣ = булаг „Quelle“; qhaqcaqav = ɣaɣčaqan = ганцхан „allein“.

Die in Reihe 12 notierte abweichende Form eines auslautenden s wird in BRJ durch z markiert, was sich in der lautbezogenen Umschrift nach Poppe naturgemäß nicht niederschlägt. Der Auslaut z ist allerdings in moderner Orthographie nicht üblich. Die in Reihe 13 aufgeführte, durch zwei rechts des Zeichens geschriebene Punkte markierte Variante des Buchstabens s wird in BJR nicht-diakritisch durch sh anstatt š wiedergeben.

Hinsichtlich der Dentale kennt die Schrift ein in initialer Position klar ausgeschriebenes t, das in medialer Position vor einem Konsonanten oder am Wortende graphisch etwas verkürzt erscheint. Dieses Zeichen wird in BJR einheitlich als t wiedergegeben: tatguburi = tedkübüri = тэтгэвэр „Unterstützung, Pension“; vaqamat = aqamad = ахмад „Senioren“. Dagegen wird das Zeichen d in echten mongolischen Wörtern nur in intervokalischer Position auftauchen: madaral = mederel = мэдрэл „Sensation“; baqhadur = baɣatur = баатар „Held“. In der Transkription richtet sich die Verteilung von t und d allein nach der angenommenen Aussprache.

Der in initialer und medialer Position anzutreffende Buchstabe c wird in der Transliteration ohne Haček geschrieben (bicig = bičig = бичиг „Schrift“). Eine graphische Variante dieses Buchstabens, die nur in medialer Position erscheint, ist in der Transliteration durch z ausgedrückt: qhazar = ɣaǰar = газар. Derselbe Laut wird im Anlaut eines Wortes mit dem Buchstaben j geschrieben: jiqhasu = ǰiɣasu = загас „Fisch“. Die beiden mit Poppe unter ǰ zusammengefassten Zeichen (in BJR durch j und z transliteriert) sind graphisch gesehen durchaus unähnlich.

Der stimmhafte palatale Approximant (das deutsche „Jot“) wird bei Poppe nach englischem Muster einheitlich durch y wiedergegeben, auch wenn es in moderner Orthographie zwei unterschiedliche Zeichen gibt, die auch in Unicode klar unterschieden werden.[8] In der Transliteration nach Balk und Janhunen wird U+1835 (Mongolian letter JA) durch j und U+1836 (Mongolian letter YA) durch y ausgedrückt : sajiv = sayin = сайн „gut“ versus sayiqav = sayiqan = саяхан „neulich“

Der in Reihe 20 aufgeführte Buchstabe g wird in der Transliteration einheitlich behandelt. In der Umschrift nach Poppe richtet sich die Wiedergabe nach der Aussprache: gar = ger = гэр „Jurte“ versus gala = kele = хэл „Sprache“. Der in Reihe 21 genannte Buchstabe kommt nur in Fremdwörtern vor und bleibt, wie bereits erwähnt, unverändert (zum Beispiel: kilugram = kilugram = килограмм “Kilogramm”). Dasselbe gilt für den Buchstaben in Reihe 23, der häufig in Namen und Begriffen tibetischen, sanskritischen oder chinesischen Ursprungs auftaucht, zum Beispiel: wavgzil = vangǰil = ванжил „dbang-rgyal“; wcir = včir = очир „vajra“; wavg = vang = ван „Prinz“.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die mögliche Korrelation zwischen den nach Balk und Janhunen transliterierten mongolischen Buchstaben und ihren nach Poppe transkribierten Entsprechungen:

BJR Poppe
a a        e
b b
c č
d t        d
e a        e
g g        k
h h
i i
j ǰ        y
k k
l l
m m
n n
p p
q q        γ
qh γ
r r
s s
sh š
t t        d
u o        u        ö        ü
v n
va a
vg ng
vh h
vi i
vu o        u
vui ö        ü
w v
z s        ǰ

 

[1] In den „Regeln für die alphabetische Katalogisierung“ (RAK) wurden die verbindlichen Transliterationen in der „Anlage 5“ aufgeführt. Die für deutsche wissenschaftliche Bibliotheken bisher gültigen RAK wurden 2015 durch die „Resource Description and Access“ (RDA) genannten Regelungen ersetzt. Bestimmungen zur Umschrift gibt es zur Zeit für Arabisch, Armenisch, Bengali, Chinesisch, Devanagari, Georgisch, Gujarati, Hebräisch, Japanisch, Kannada, Koreanisch, Kyrillisch, Malayalam, Oriya, Sinhala, Tamil und Telugu.

[2] Nicholas Poppe: Grammar of written Mongolian. Wiesbaden : Harrassowitz, 1954 (Porta linguarum orientalium)

[3] Grammar of written Mongolian, S. XIII.

[4] Kyrillisch gedruckte Werke aus der „äußeren“ Mongolei wurden nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in der Ost-Berliner Staatsbibliothek als auch in ihrem West-Berliner Pendant in beachtlichem Umfang gesammelt. Ein Publikationsgeschehen in mongolischer Schrift lässt für die zu China gehörige Innere Mongolei erst in den achtziger Jahren feststellen; während der Kulturrevolution und den darauf unmittelbar folgenden Jahren gab es keine nennenswerte Buchproduktion und daher auch keine Möglichkeit, mongolisch gedruckte Bücher zu erwerben.

[5] Michael Balk & Juha Janhunen:  „A new approach to the Romanization of Written Mongol“. Writing in the Altaic World : proceedings of the 41st Annual Meeting of the Permanent International Altaistic Conference (PIAC). Helsinki : Finnish Oriental Society, 1999 (Studia orientalia ; 87), S. 17-27. – Juha Janhunen: „Written Mongol“. The Mongolic languages. London [u.a.] : Routledge, 2003 (Routledge language family series), S. 30-56. – Michael Balk: „Sieben Strophen des Udānavarga in mongolischer Version“. Per Urales ad Orientem : iter polyphonicum multilingue ; festskrift tillägnad Juha Janhunen på hans sextioårsdag den 12 februari 2012. Helsinki : Suomalais-Ugrilainen Seura, 2012 (Suomalais-Ugrilaisen Seuran toimituksia), S. 25-37.

[6] Grammar of written Mongolian, S. 17.

[7] Vgl. Wolfdietrich Fischer: Grammatik des klassischen Arabisch. Wiesbaden : Harrassowitz, 2002 (Porta linguarum orientalium), S. 10 (§ 14).

[8] http://www.unicode.org/charts/PDF/U1800.pdf.

CrossAsia DoD – die ersten digitalisierten Bücher sind online!

Seit März 2016 bietet „CrossAsia – Fachinformationsdienst Asien“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit dem digitalen Wunschbuch einen nachfrageorientierten Digitalisierungsservice. Sie können uns gemeinfreie und noch nicht online frei verfügbare asienwissenschaftliche Werke zur Digitalisierung vorschlagen, und wir stellen Ihnen kostenfrei eine digitale Ausgabe bereit.

Für die Südasienwissenschaften können Sie nun die folgenden ersten fünf Werke auf „Literatur zu Südasien – digital“ lesen, herunterladen und annotieren –

William Crooke: A rural and agricultural glossary for the N.-W. Provinces and Oudh (1888)

Jarl Charpentier: The Uttarādhyayanasūtra: the first Mūlasūtra of the Śvetāmbara Jains (1922)

Jayadatta Suri: Aśvavaidyakam: a treatise on the veterinary science (1886)

John Shakespear: A grammar of the Hindustani language (1826)

E. G. Wace: Final report on the first regular settlement of the Simla District in the Punjab, 1881-83 (1884)

Wir freuen uns auf weitere Digitalisierungswünsche, die Sie uns gerne über das Bestellformular oder per Mail (merkel@sai.uni-heidelberg.de) mitteilen können.

SEALG Meeting 2016 in Kopenhagen

Die Jahrestagung der Southeast Asian Library Group (SEALG) fand vom 24. bis 25. Juni 2016 in Kopenhagen statt. Gastgeber war die Bibliothek des Nordic Institute of Asian Studies (NIAS).

Die SEALG wurde bereits 1968 von britischen Bibliothekaren und Wissenschaftlern, die mit Südostasien befasst waren, gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten u.a. Vertreter der School of Oriental and African Studies (SOAS) und des British Museum, dessen Bibliothek ab 1973 durch den Zusammenschluss mit anderen Bibliotheken die British Library bildete.

Von Beginn an war es das Ziel, die Versorgung der Südostasienwissenschaften mit Ressourcen aus und über die Region zu verbessern. Aufgrund der Schwierigkeiten, Bücher aus der Region Südostasien zu beschaffen, und aufgrund der Sprachenvielfalt, was die Bearbeitung der Bücher erschwert, strebte die SEALG eine enge Kooperation und einen Erfahrungsaustausch unter SOA-Bibliothekaren und Wissenschaftlern an. Heute hat SEALG zirka 20 Mitglieder.

An der diesjährigen Tagung nahmen 13 Vertreter von unterschiedlichen Bibliotheken und Hochschulen aus sieben Ländern teil.

Den ersten Konferenztag eröffnete Holger Warnk, von der Goethe-Universität Frankfurt am Main mit seinem Beitrag über „Malay Islamic Publishing in Malaysia in Jawi Script“. Holger Warnk untersuchte die Geschichte des Drucks islamischer Schriften in Jawi und deren aktuelle Stellung in Malaysia. Jawi ist ein Alphabet, das auf dem Arabischen basiert und über Jahrhunderte zur Schreibung der malaiischen Sprache benutzt wurde. Kitab Kuning („gelbe Bücher“), so genannt wegen des gelben Papiers auf dem sie gedruckt sind, wurden nicht nur in Malaysia, sondern u.a. auch in Süd-Thailand, auf Java, in Bombay und Kairo hergestellt. Seit geraumer Zeit ist ein drastischer Rückgang des Drucks dieser Art von Literatur festzustellen. Holger Warnk stellte auf seinen Reisen fest, dass es beispielsweise in Penang (Malaysia), einem Zentrum des Drucks von Kitab Kuning, im Jahr 2000 noch sechs Druckwerkstätten gab, im Jahr 2016 war aber nur noch eine einzige aktiv. Mit ca. 1900 Titeln besitzt die Sophia University in Tokyo weltweit die größte Sammlung von Kitab Kuning. Die Universitätsbibliothek Leiden hat die größte Sammlung dieser Art in Europa.

Es folgte der Beitrag „Vietnamese manuscripts at the British Library“ von Sud Chonchirdsin, Kurator für vietnamesische Literatur an der British Library. Er gab einen Überblick über die im Vergleich zu anderen südostasiatischen Manuskriptsammlungen kleine Sammlung vietnamesischer Manuskripte. Vietnamesische Gelehrte schrieben lange Zeit in Chinesisch (Chữ Hán). Erst später wurde eine vereinfachte auf dem Chinesischen basierende Schrift eingeführt (Chữ Nôm). Die Manuskripte, die sich in der Sammlung der British Library befinden, sind in Chữ Hán, Chữ Nôm oder in einer Mischform geschrieben. Es handelt sich um Rollen und Bücher. Sud Chonchirdsin zeigte und erläuterte einige Highlights der Sammlung wie z.B. ein kaiserliches Dokument aus dem Jahre 1793 und seltene Karten von der Reise einer vietnamesischen Gesandtschaft von Hanoi nach Peking, datiert auf das Jahr 1880. Alle vietnamesischen Manuskripte der British Library sind digitalisiert.

Preedee Hongsaton, Department of History, Thammasat University, Bangkok, sprach über „Thai Cremation Volumes: Precious sources for historical research“. Während seiner Tätigkeit an der National Library of Australia, die über die beachtliche Sammlung von ca. 3000 Bänden verfügt, hat dieses Thema sein Interesse geweckt. Cremation Volumes werden in Thailand seit dem 19. Jahrhundert aus Anlass des Todes einer meist aus gehobenen Verhältnissen stammenden Person gedruckt und an Verwandte, Freunde und Bekannte verteilt. Sie enthalten neben ausführlichen Informationen über den Verstorbenen Texte, die der Verstorbene selbst verfasst hat oder die ihm besonders wichtig waren, sowie buddhistische Texte. Für die Geschichts- und Sozialwissenschaft sind Cremation Volumes von großer Bedeutung und bisher kaum ausgewertet worden.

In dem Beitrag „Following the Footprints: H. J. Inman and his remarkable works on Shan manuscripts at SOAS, University of London“ gab Jotika Khur-Yearn von der SOAS-Bibliothek einen Überblick über die Shan-Manuskriptsammlung und stellte zwei von Captain H. J. Inman, einem Pionier der Shan-Forschung, bearbeitete Manuskripte näher vor. Inman hat von 1936 bis 1948 an der School of Oriental and African Studies Shan unterrichtet.

Doris Jedamski, Kuratorin der Südostasien-Sondersammlung der Universitätsbibliothek Leiden stellte in ihrem Beitrag „What’s in an archive?“ die archivarische Seite ihrer Tätigkeit vor. Anders als in anderen niederländischen Bibliotheken war das Archiv schon immer Bestandteil der Universität. Durch den Zusammenschluss der Universitätsbibliothek Leiden mit der Bibliothek des Kern Instituts 2010 und der Sammlung des Koninklijk Instituut voor Taal-, Land- en Volkenkunde  (KITLV) 2014 sowie durch zahlreich Schenkungen wuchs das Archiv. Es enthält beispielsweise Sammlungen von Organisationen und Vereinen, die in Niederländisch Indien tätig waren und zahlreiche Familienarchive. Die Bibliothek sammelt alles aus der Region, was vor 1950 erschien. Doris Jedamski zeigte zahlreiche Fotos und ließ das Publikum an den höchst interessanten Inhalten von Archiv-Kartons teilhaben. Zum Vorschein kamen Fotos, Briefe, Einladungen, Programmhefte und Eintrittskarten, Vereinsstatute, Verpackungen mit Werbung und vieles mehr, was die Vergangenheit vor den Augen des Publikums lebendig werden ließ.

Am Nachmittag hatten die Konferenzteilnehmer die Gelegenheit, die Königliche Bibliothek zu besichtigen, wo der Forschungsbibliothekar Bent Lerbaek Pedersen Einblicke in seine Arbeit gewährte und einige Schätze aus der Sondersammlung zeigte. Neben Palmblattmanuskripten in Khmer, Thai, Burmesisch und Javanisch war darunter auch ein Orakelbuch der Batak (pustaha), geschrieben auf Baumbast und in Knochen gebunden.

Am zweiten Tag fand das Business Meeting der SEALG statt. Nach Billigung des Protokolls über das Jahrestreffen 2015 in Paris und des Kassenberichts stand in diesem Jahr die Wahl des Komitees auf der Tagesordnung. In ihren Funktionen wieder gewählt wurden: Doris Jedamski, Universitätsbibliothek Leiden (Vorsitzende), Holger Warnk, Goethe-Universität Frankfurt am Main (stellvertretender Vorsitzender), Margaret Nicholson (Kassenwart), Jotika Khur-Yearn, SOAS Library, Sekretär, Jana Igunma, British Library. Zwei weitere Personen wurden in das Komitee gewählt: Christoph Caudron, Bibliothèque de la Maison Asie-Pacifique, Aix-Marseille Université, und Mia Nilsson, Asia Library, Lund University.

Es folgten Berichte der Mitglieder über die aktuelle Arbeit in ihren Bibliotheken. Unter anderem berichtete Inga-Lill Blomkvist (NIAS Library and Information Centre, Kopenhagen) über den Zusammenschluss der NIAS Bibliothek mit der Universitätsbibliothek, was mit zahlreichen Veränderungen und Stellenkürzungen einherging. Die digitale Sammlung soll zukünftig noch konsequenter ausgebaut werden.

Christoph Caudron informierte über die besondere Situation des Maison Asie-Pacifique in Marseille mit zwei Teilbibliotheken, der des Centre de Recherche et de Documentation sur l’Océanie (CREDO) und des Institut de recherches Asiatiques (IrAsia).

Claudia Götze-Sam (Staatsbibliothek zu Berlin) informierte über die erfolgreiche Bewerbung im Rahmen des DFG-Förderprogramms „Fachinformationsdienste für die Wissenschaft“ (FID). Zu dem neu gebildeten Fachinformationsdienst CrossAsia – FID Asien gehören die Ost-, Südost- und Zentralasiensammlung der Staatsbibliothek zu Berlin und die Südasiensammlung der Universitätsbibliothek Heidelberg. Sie berichtete über neue Aktivitäten im Rahmen des FID wie z.B. die Einrichtung einer Publikationsplattform, wo die Möglichkeit besteht, im Open Access Aufsätze, Working Papers, Hochschulschriften, e-journals und e-books zu publizieren, und eines neuen Digitalisierungsservices für gemeinfreie oder vergriffene Titel mit Asienbezug (CrossAsia DoD).

Holger Warnk sprach über die Buchmesse in Frankfurt, bei der Indonesien Ehrengast war. Er stellte noch einmal heraus, wie wenig indonesische Bücher direkt aus dem Indonesischen ins Deutsche übersetzt wurden. Außerdem gab er bekannt, dass die Südostasien-Bestände der Universität Frankfurt seit kurzem an das elektronische Fernleihsystem angeschlossen sind.

Sud Chonchirdsin machte die Teilnehmer auf den Asien-Afrika-Studien-Blog der British Library aufmerksam, der von den Nutzern sehr gut angenommen wird.

Doris Jedamski und Jotika Khur-Yearn berichteten u.a. von Umzugsprojekten und geplanten Ausstellungen. So bekommt SOAS schon in diesem Jahr mehr Platz im Senate House. An der Universität Leiden wird im September 2017 die neue Asian Library eröffnet, ein Ereignis das mit zahlreichen Begleitveranstaltungen („Asian Year“) begangen wird und für Doris Jedamski mit viel Arbeit verbunden ist.

Mit Gerald Jackson von NIAS Press Kopenhagen, der als Gast an dem Meeting teilnahm, wurde über ein gemeinsames Buchprojekt, ein Handbuch der Südostasien-Sammlungen, diskutiert, zu dem Bibliothekskuratoren und Wissenschaftler beitragen könnten. Details  werden in Kürze von einer Projektgruppe erarbeitet.

CrossAsia-eBooks ist online …

… mit einer Neuerscheinung zum Thema Arbeitsmigration:

UprechtIm Vorfeld der näher rückenden FIFA-Weltmeisterschaft in Katar wächst das mediale Interesse an der großen Rolle, die ausländische Arbeitskräfte für das rasante Wachstum der Golfstaaten-Metropolen spielen, und an den oft problematischen Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen. Deutlich weniger Aufmerksamkeit gilt jedoch dem ‚anderen Ende‘ dieser Migrationsprozesse, nämlich den Kontexten, aus denen diese Arbeiter kommen und in die sie später zurückkehren.

Hannah Uprety untersucht in ihrer Masterarbeit Between Exploitation and Economic Opportunity?: Identities of Male Nepalese Labor Migrants in the Gulf Region wie sich diese meist männlichen Migranten und ihre Familien in transnationale Formen der Lebensführung einfinden und wie ihre Identitäten sich entlang dieses Prozesses verändern.

Außerdem neu auf CrossAsia-eBooks die ersten Bände der Reihe Berlin Geographical Papers, die Ergebnisse von aktuellen Forschungsprojekten am Centre for Development Studies der Freien Universität Berlin (ZELF) veröffentlicht. Der regionale Schwerpunkt liegt auf Asien mit besonderem Fokus auf Süd- und Zentralasien. Die Reihe hat das Ziel der schnellen Kommunikation von Forschungsergebnissen an eine interessierte Öffentlichkeit.

Mit der Open-Access-Plattform CrossAsia-eBooks bieten wir Asienwissenschaftlerinnen und Asienwissenschaftlern weltweit eine zeitnahe und kostenfreie Publikationsmöglichkeit für wissenschaftliche E-Books. CrossAsia-eBooks ergänzt unsere Angebote CrossAsia-Repository und CrossAsia Journals im Bereich elektronisches Publizieren.

Reise ins China des frühen 20. Jahrhunderts – mit einer Online-Fotoausstellung zum Nachlass Fritz und Hedwig Weiss

Im Frühjahr 2016 hat die Staatsbibliothek zu Berlin den Nachlass Weiss übernommen, des deutschen Konsuls Fritz Weiss und seiner Frau Hedwig Weiss-Sonnenburg. Die Sammlung, die zahlreiche Dokumente und Fotografien insbesondere aus dem mehrjährigen Aufenthalt des Ehepaares Weiss im Südwesten Chinas zu Beginn des 20. Jahrhunderts enthält, wurde von Tamara Wyss, der Enkelin von Fritz und Hedwig Weiss, an die Staatsbibliothek übergeben.

Tamara Wyss auf den Spuren ihrer Großeltern, Chongqing, 2002. Foto: privat, Fotografin: Lie Mei

Tamara Wyss auf den Spuren ihrer Großeltern, Chongqing, 2002. Foto: privat, Fotografin: Lie Mei

Tamara Wyss hat sich viele Jahre intensiv mit der Geschichte ihrer Großeltern befasst. Sie recherchierte in den Archiven nach der diplomatischen Korrespondenz aus dem Konsulat Chengdu, reiste auf den Spuren ihrer Großeltern und versuchte dabei den Ursprung der Fotografien und Aufzeichnungen zu ermitteln. Sie nahm es sich zum Ziel, die Geschichte ihrer Großeltern der Öffentlichkeit bekannt zu machen, beispielsweise mit Fotoausstellungen in China an den Orten, wo ihre Großeltern gelebt haben, einem Bildband mit zahlreichen Fotos aus dem Nachlass (Gestern im Land von Ba und Shu, 2009), sowie Buchpräsentationen.

Tamara Wyss ist im März 2016 verstorben. Wir haben gerne ihren Wunsch aufgegriffen, eine Auswahl der Fotografien aus dem Nachlass gemeinsam mit Erinnerungen aus den Tagebüchern und Aufzeichnungen von Fritz und Hedwig Weiss in einer Online-Ausstellung zu präsentieren. Mit dieser Ausstellung möchten wir an ihr Schaffen erinnern und ihr Bestreben fortsetzen, die Geschichte ihrer Großeltern zu erzählen.

Max Friedrich Weiss (1877-1955) war Orientalist und Diplomat. Bis zum Eintritt Chinas in den Ersten Weltkrieg war er deutscher Konsul in Chengdu, Sichuan, und Kunming, Yunnan. 1899, im Alter von 22 Jahren, reiste Fritz Weiss nach Abschluss seines Studiums in den Fächern Jura und Chinesisch zum ersten Mal nach China. Zunächst war er als Dolmetscher tätig, trat aber schnell in den konsularischen Dienst über. 1904 wurde er an das Konsulat in Chengdu versetzt, 1907 übernahm er bereits die kommissarische Leitung und ab 1912, nach Bestehen der Konsularprüfung, die Leitung des Konsulats. Bei einem Heimaturlaub im Jahr 1911 wurde er mit Hedwig Margarete Sonnenburg (1889-1975) bekanntgemacht, die ihn nach ihrer Heirat noch im selben Jahr nach China und auf den neuen Posten begleitete. Hedwig Weiss war als Reiseschriftstellerin und Kinderbuchautorin zeitlebens durch ihre Erlebnisse in China geprägt und hat diese in ihren Texten verarbeitete. 1914 wurde Fritz Weiss nach Yünnan-fu, dem heutigen Kunming, versetzt, um dort ein neues Konsulat zu errichten. Die zwei Töchter des Ehepaares Weiss, Jutta und Alice, wurden in Yunnan geboren.

Am Wannsee, Fritz und Hedwig während der Verlobungszeit, Frühjahr 1911

Am Wannsee, Fritz und Hedwig während der Verlobungszeit, Frühjahr 1911

Hedwig Sonnenburg war eine sehr abenteuerlustige und neugierige, aber auch romantische junge Frau. In ihren Memoiren schreibt sie: „[…] die Sehnsucht in die Ferne war mächtig in mir. Jede Weite, die ich vor mir sah, liess mich von noch grösseren Weiten träumen, jeder Wald liess den ewigen Wald vor mir entstehen, jeder Ritt, wenn die Luft um meine Ohren brauste, liess mich von wilden Ritten über unbekannte, endlose Steppen träumen.“ (S.3) Und Fritz Weiss erinnert sich in seinen Memoiren: „Mag sein, dass die Aussicht auf eine wilde Reise über den Pamir, ein Projekt, mit dem ich mich damals trug, bis zu einem gewissen Grad bei den Entschließungen von Frl. Sonnenburg für mich gesprochen hat.“ (S.308)

Zwischen Kennenlernen, Verlobung, Heirat und Abreise nach Chengdu, wo Fritz seinen Posten als Konsul antreten sollte, widmeten sie sich aufwendigen Reisevorbereitungen für ihr Leben und die geplanten Expeditionen in China. Sie hatten Kameras zur Dokumentation ihrer Erlebnisse im Reisegepäck und organisierten sogar einen Edison-Phonograph zur Aufnahme von Gesängen auf Wachswalzen, die sie Prof. Hornbostel vom psychologischen Institut in Berlin versprochen hatten (Hedwig Weiss-Sonnenburg, Memoiren, S.9); mit ihm zeichneten sie die Gesänge der Yangzi-Treidler und eines Stammes aus dem Volk der Yi auf. Die Wachswalzen sind heute im Bestand des Ethnologischen Museums in Berlin.

Begleiten Sie Fritz und Hedwig Weiss auf ihren Spuren durch das Südwestchina des frühen 20. Jahrhunderts, einer politischen und gesellschaftlichen Umbruchsphase zwischen den letzten Jahren des Qing-Reiches und dem Eintritt Chinas in den Ersten Weltkrieg im Jahr 1917, in dessen Folge die diplomatischen Beziehungen mit dem deutschen Kaiserreich abgebrochen wurden und die Familie Weiss aus China ausreisen musste. Besuchen Sie mit ihnen die Städte Chongqing, Chengdu und Kunming. Nehmen Sie teil an ihren abenteuerlichen Reisen und Expeditionen per Boot durch die Drei Schluchten des Yangzi ins chinesische Hinterland, in die entlegenen Bergregionen und Flusstäler Sichuans, zu dem unabhängigen Volk der Yi und bei der Ausreise aus China 1917, die mit einem Marsch quer über Land von Kunming in nördlicher Richtung zum Yangzi startete.

Die Fotoausstellung Reisen im Südwesten Chinas, 1899-1917 zum Nachlass Weiss finden Sie unter:
themen.crossasia.org/weiss oder crossasia.org > Ressourcen > Themenportale

Yalong-Schlucht, 1910

Yalong-Schlucht, 1910

Yangzi-Treidler bei der Arbeit, 1911

Yangzi-Treidler bei der Arbeit, 1911

Gasse in Chongqing mit den Sänften von Fritz und Hedwig, 1912-1914

Gasse in Chongqing mit den Sänften von Fritz und Hedwig, 1912-1914

Familiengruppe vor einem Haus der Yi mit typischer Kleidung und Kopfschmuck, Herbst 1913

Familiengruppe vor einem Haus der Yi mit typischer Kleidung und Kopfschmuck, Herbst 1913

 

Leihgaben aus der Ostasienabteilung für eine Ausstellung im Kunstgewerbemuseum

Vom 08.07.2016 bis zum 09.10.2016 wird im Kunstgewerbemuseum  (Schloss Köpenick, Berlin) die Ausstellung Lob der Guten Herrschaft. Die Lackkunst des Gérard Dagly im Berliner Schloss zu sehen sein.

Gérard Dagly (ca. 1660–1715), ein Lackkünstler der Barockzeit, wurde im Jahr 1686 vom Großen Kurfürsten nach Berlin gerufen und im Jahr darauf zum Kammerkünstler ernannt. Er gründete alsbald die Berliner Hoflackwerkstatt, die erste ihrer Art in Europa. Daglys zentrales Werk ist der im Berliner Kunstgewerbemuseum erhaltene Münzschrank aus dem Antikenkabinett der königlichen Kunstkammer, ein früher Beleg seiner ernsthaften künstlerischen Auseinandersetzung mit ostasiatischen Vorbildern.

Aus dem Bestand der Ostasienabteilung werden in der Ausstellung Stücke zu sehen sein, die das intellektuelle Umfeld Daglys am Hofe des Großen Kurfürsten widerspiegeln, das auch geprägt war von dessen starkem Interesse für Ostasien und in dessen Büchersammlung sich wohl seit 1674 bereits Sinica befunden haben. Gezeigt werden Vertreter dieser frühen Sinica wie das Ming-zeitliche Zeichenwörterbuch Zihui 字彙 von Mei Yingzuo 梅膺祚, von welchem die Bibliothek ursprünglich drei Exemplare besaß. Deren eines hat Christian Mentzel (1622-1701),  kurfürstlicher Rat und Leibarzt Friedrich Wilhelms und mit der Sinica-Sammlung der Kurfürstlichen Bibliothek betraut,  für sein eigenes neun Foliobände umfassendes Lexicon characteristicum Chinensium von 1698 zeilenweise zerschnitten, aufgeklebt und mit Lesungen und Übersetzungen aus Francisco Diaz‘ Vocabulario de Letra China versehen, ein weiteres (unvollständiges) Exemplar wurde wohl um 1910 ausgesondert. Desweiteren das Christian Mentzel  zugeschriebene Porträt des Großen Kurfürsten von 1685, Mentzels um 1698 entstandener Chinesischer Schlüssel (Clavis Sinica), ein nach Radikalen plus Strichzahl geordneten Verzeichnis chinesischer Schriftzeichen unter Angabe der Aussprache und einer Übersetzung ins Lateinische, nach Mentzel ein Auszug aus Diaz‘ Vocabulario, nebst einem auf der chinesischen Grammatik von Martin Martini (1614-1664) basierenden Text, auf deren Manuskript Mentzel von Philippe Couplet (1623 – 1693) hingewiesen worden war und das er im Jahr 1689 von Andreas Cleyer (1634-1698) aus Batavia erhielt.

Ein Höhepunkt der Ausstellung wird zweifelsohne die Typographia Sinica sein, ein aus massivem Eichenholz gefertigtes Schränkchen, das in zehn schmalen Schubfächern insgesamt 3287 Drucktypen, ca. 2,5 cm3 große Würfel aus Buchenholz, auf deren einer Seite chinesische Schriftzeichen eingeschnitten und auf deren anderer Seite mit Tinte Zahlen aufgetragen sind, enthält. Andreas Müller (um 1630-1694), seit 1667 Probst an der Nikolaikirche in Berlin und Vorgänger Christian Mentzels in der Betreuung der chinesischen Bücher des Großen Kurfürsten, hat sie der Kurfürstlichen Bibliothek bei seiner Verabschiedung aus dem Amt im Jahr 1685 überlassen. Die Typographia Sinica stellt wohl den ersten Versuch dar, in Europa einen Grundstock chinesischer Schriftzeichen herzustellen und ist somit ein beachtenswerter materieller Zeuge der Bemühungen von Gelehrten des 17. Jh. um die chinesische Sprache und Kultur, der nun erstmals seit drei Jahrzehnten wieder in Gänze in einer Ausstellung präsentiert wird.

IMG_5063

Die Suche nach Spuren und Hongpiao 紅票

Vor 300 Jahren, am 31. Oktober des Jahres 1716, ließ der Qing-Kaiser Kangxi von seinem kaiserlichen Druckhaus Wuyingdian circa 300 Exemplare einer Proklamation fertigen und an Ausländer im Lande verteilen – in lateinischer, chinesischer und mandschurischer Sprache geschrieben – markant umrahmt von Drachen mit fünf Klauen und in roter Farbe gedruckt.

Er machte darin klar, jedwede weitere Kommunikation bezüglich des Ritenstreits nicht zur Kenntnis zu nehmen, bis nicht wenigstens einer seiner selbsterwählten jesuitischen Gesandten aus Rom zurückgekehrt und ihm Bericht erstattet habe (für eine Übersetzung der Proklamation siehe den Beitrag auf der Seite des Ricci Institute). David Helliwell, Curator of Chinese Collections, Bodleian Library, wertet das Schreiben auch als Spurensuche nach Kangxis vier Gesandten, die er zehn bzw. acht Jahr zuvor offiziell für Verhandlungen nach Rom entsandt hatte. Jedoch alle vier, Fr. António de Barros, S.J. [龍安國], Fr. Antoine de Beauvollier, S.J. [薄賢士], Fr. Giuseppe Provana, S.J. [艾若瑟] und Fr. José Raimundo de Arxo, S.J. [陸若瑟] sind unterschiedlichen Schicksalsschlägen erlegen und waren schon lange nicht mehr am Leben, als Kangxi sein Hongpiao verbreiten ließ.

Heute nun sind es die Hongpiao selbst, denen sich die Spurensuche von Forschern und Bibliothekaren widmet. Helliwell hat vom Bodleischen Hongpiao ausgehend 2011 begonnen, alle nachgewiesenen Hongpiao in einem Blogeintrag zu versammeln; im gerade erschienen Bibliotheksmagazin der beiden Staatsbibliotheken München und Berlin hat Renate Stephan, Fachreferentin für Ostasien in der Bayerischen Staatsbibliothek, in ihrem Beitrag nun das Münchner Exemplar gewürdigt (S.32-36). Das Berliner Hongpiao wurde bereits 2013 im Rahmen eines DFG geförderten Digitalisierungsprojektes der alten Ostasiensammlung der Staatsbibliothek zu Berlin neu katalogisiert und digitalisiert (s.o.); doch auch schon im handschriftlichen Bandkatalog der chinesischen Sammlung findet sich eine deutliche Spur zu dem 41,9 x 98,5 cm messenden Blatt unter dem Titel „Epistola Mandarinorum Ytoury de 31. Octobr. 1716 / Nos Ytoury“. Vor nicht allzu langer Zeit hat zudem Hartmut Walravens das Objekt in seinem Katalog Mandschurische Handschriften und Drucke im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin, VOHD XII,8 (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2014, S.102/3) beschrieben und weiterführende Literaturhinweise gegeben.

[紅票] = 清聖祖仁皇帝: U ing diyan i jergi be i bithe weilere be i hafan iduri, wang doo hûwa, joocang sei bithe (CC BY-NC-CA, Staatsbibliothek zu Berlin)

Wann genau das Objekt mit der Signatur Libri sin. 165 in den Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin gekommen ist, ist nicht bekannt. Heinrich Julius Klaproth, dessen „Verzeichniss“ die direkt nachfolgende Signatur Libri sin. 166 trägt, erwähnt das Objekt nicht; ebenso hat der Katalog von Wilhelm Schott von 1840 es der Aufnahme nicht für würdig befunden. Auch er lieferte keinen vollständigen Katalog der Sammlung.

Man muss zwar immer noch wissen, was man suchen möchte, aber seit nun schon ein paar Jahren ist der „offene Brief“ Kangxis weltweit und mit Originalschrift, Transkription, latinisiertem Titel oder Signatur über den Katalog der Ostasienabteilung (http://crossasia.stabikat.de) oder auch in den Digitalisierten Sammlungen der Staatsbibliothek (http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/) aufzufinden und einzusehen, so dass heute gut auffindbare Spuren zum Objekt hinführen.

Newsletter Nr. 12

Liebe Nutzerinnen und Nutzer der CrossAsia-Angebote,

lesen Sie im zwölften Newsletter von CrossAsia zu folgenden Themen:

Ihr CrossAsia-Team

CrossAsia Blog: der Newsletter im neuen Format

Die Welt dreht sich weiter … und daher haben wir uns entschieden, den CrossAsia Newsletter in einem neuen Format erscheinen zu lassen: als Blog. So können wir Sie schneller als bisher über Neuerungen bei CrossAsia informieren, wie neue Services und Datenbanken, besondere Sammlungen und Ausstellungen, aber auch auf ganz akute Themen wie Testzugänge oder Wartungsarbeiten bei Datenbanken hinweisen.

Newsletter und Aktuelles gehen somit im CrossAsia Blog auf. Hier finden Sie in Zukunft zeitnah Informationen zu allen aktuellen – aber auch vergangenen – Entwicklungen bei CrossAsia. Die wichtigsten Beiträge seit dem letzten Newsletter senden wir Ihnen weiterhin in einer eMail als Newsletter zu. Es lohnt sich jedoch auch zwischen drin einmal bei uns vorbeizuschauen. Möchten Sie immer auf dem Laufenden bleiben? Dann abonnieren Sie den Blog doch als RSS-Feed.

Viel Spaß beim Lesen! Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen, die Sie mit anderen Nutzerinnen und Nutzern teilen und im CrossAsia Forum zur Diskussion stellen können; oder Sie schreiben uns direkt: x-asia@sbb.spk-berlin.de.

Die Sammlung Unschuld – chinesische medizinische Handschriften in der Staatsbibliothek

Verfasst von Cordula Gumbrecht und Martina Siebert

Wie bereits im Newsletter Nr. 3/2012 berichtet, konnte die Staatsbibliothek zu Berlin vor einigen Jahren die Sammlung Unschuld erwerben, eine Sammlung von 823 chinesischen medizinischen Handschriften, die in das 16. bis in die Mitte des 20. Jhs. datieren (weitere 58 Manuskripte derselben Sammlung sind im Bestand des Ethnologischen Museums, Staatliche Museen zu Berlin).

Jüngst sind nun weitere 121 Handschriften aus dem Bereich der traditionellen chinesischen Humanmedizin sowie 33 tiermedizinische Handschriften hinzugekommen. Wir möchten dies zum Anlass nehmen, die weltweit umfangreichste Sammlung dieser Art hier kurz zu beschreiben und in den Kontext des Sinica-Bestandes der Staatsbibliothek zu stellen.

Der Sammler

Die Handschriften wurden über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten durch den Sinologen und Medizinhistoriker Paul U. Unschuld in Ostasien erworben. Prof. Unschuld hatte von 1986 bis 2006 den Lehrstuhl für Geschichte der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne und leitet seit 2006 das Horst-Görtz-Stiftungsinstitut für Theorie, Geschichte und Ethik Chinesischer Lebenswissenschaften der Charité Berlin.

Datierung, Provenienz, Autoren

Einzelne Stücke aus der Sammlung sind bis zu 400 Jahre alt (z.B. 小兒推拿秘訹, Slg. Unschuld 8567; 靈樞內經, Slg. Unschuld 8728; 藥性歌訣, Slg. Unschuld 8720), die Mehrheit der Handschriften datiert jedoch in das 19. bzw. 20. Jahrhundert. Die Texte sind regional überwiegend in China zu verorten, einige von ihnen beziehen sich speziell auf Nordchina (鬼子翻語書, Slg. Unschuld 8017; 外科遍正法, Slg. Unschuld 8042; 濟世良方, Slg. Unschuld 8045; 良方集要, Slg. Unschuld 8046). Die Autoren bzw. Schreiber waren Ärzte, Apotheker, Medizinstudenten, Gelehrte, Wanderärzte, Magier, Volks- und Laienheiler und interessierte Privatleute. Die Texte wurden meist für den persönlichen Gebrauch angefertigt und waren in der Regel nicht zur Veröffentlichung bestimmt.

Inhalt

Etwa ein Drittel der Manuskripte sind Exzerpte aus gedruckten Büchern, wobei nur wenige der Autoren Angaben machen, aus welchen Büchern kopiert wurde. Daneben finden sich Zusammenstellungen von Rezepten, Drogenbeschreibungen und anderen therapeutischen Techniken wie Akupunktur und Massage (z.B. 針灸擇要, Slg. Unschuld 8566; 吳氏家藏推拿法, Slg. Unschuld 8350), zum Teil mit persönlichen Kommentaren hinsichtlich ihrer Nützlichkeit. Magische Techniken, Amulette und Beschwörungen bilden einen anderen wichtigen Teil (祝由書, Slg. Unschuld 8650; 法病書, Slg. Unschuld 8554; 道法積中, Slg. Unschuld 8239). Die Sammlung enthält aber auch Texte nicht-medizinischen Inhalts wie Verträge (雜選配本, Slg. Unschuld 8066; 驗方記擇, Slg. Unschuld 8162; 家藏醫藥抄本, Slg. Unschuld 8164, 簡易良方, Slg. Unschuld 8573), Einladungen zu Hochzeiten (總記錄. 萬種囊, Slg. Unschuld 8219), sowie pharmakologische Lehropern (z.B. 草木春秋, Slg. Unschuld 8095).

Der Großteil der Exzerpte aus gedruckten Büchern – keine der Handschriften stellt eine vollständige Kopie eines solchen dar – stammt aus zwei Kategorien von Titeln, zum einen aus Einführungen in die klinische Praxis und deren praktischer Anwendung, zum anderen aus Büchern, die zwar gedruckt wurden, aber in nur wenigen Kopien zirkulierten. Als der meist zitierte Text in den Manuskripten in Berlin lässt sich das Yizong jinjian 醫宗金鑒 („Golden mirror of medicine“) ausmachen (s. Chinese traditional healing : the Berlin collections of manuscript volumes, edited by Unschuld and Zheng, p.4). In diesem enzyklopädisch angelegten Werk hat Wu Qian 吳謙 (1689-1748) Wissen aus allen klinischen Kategorien in einfacher Sprache zusammengestellt. Die Berliner Manuskripte kopieren aus dem Werk zumeist jene Abteilungen, die als am nützlichsten in der therapeutischen Anwendung betrachtet wurden, nämlich: Akupunktur, Pocken, frauentypische Beschwerden, Pädiatrie und Äußere Medizin. In den Manuskripten finden sich auch Exzerpte aus äußerst raren Werken, wie z.B. Gao Rushans 高如山 Xianchuan douzhen qishu 仙傳痘疹奇書 („Extraordinary book on smallpox, transmitted by immortals“) von 1598, das in nur wenigen Exemplaren gedruckt wurde (Slg. Unschuld 48019, Bd. im Besitz des Ethnologischen Museums, Staatliche Museen zu Berlin). Mit der Handschrift Slg. Unschuld 8101 ist der Text des Michuan hou ke 秘傳喉科 („Secretly transmitted laryngology“) erhalten, eines Manuskripts, das in der Familie eines Qing-zeitlichen Spezialisten für Halskrankheiten von Generation zu Generation weitergegeben, aber nie gedruckt wurde, und damit heute ein Unikat darstellt.

Paul U. Unschuld und Zheng Jinsheng haben in ihrem Katalog zur Sammlung (Chinese traditional healing : the Berlin collections of manuscript volumes from the 16th through the early 20th century. Leiden u.a.: Brill 2012, vol. 1, p.17) den Inhalt der 881 Manuskripte wie folgt aufgeschlüsselt: Rezepte bilden mit mehr als einem Drittel aller Titel die größte Kategorie (311 reine Rezeptsammlungen + 36 neben anderem auch Rezepte). Insgesamt sind 52.490 Rezepte verzeichnet. Gefolgt wird diese dominante Gruppe von Titeln zur Pädiatrie, hier speziell zu Pocken, Massage (tuina 推拿) und Ätztherapie (82+3 Titel), zur Puls- und Zungendiagnose (52+9), zu Materia Medica (bencao 本草) (50+13), zur Gynäkologie (52), zur Äußeren Medizin (47+2) etc. Die Dominanz von Rezepten weist auf eine Nutzung durch die Allgemeinbevölkerung hin, denn pharmazeutische Rezepte boten den Vorteil, dass sie direkt angewandt werden konnten, ohne dass erst therapeutische Techniken erlernt werden mussten. Wichtig war einzig, dass die Rezepte aus verlässlicher Quelle stammten. Oftmals wurden Rezepte in Versform geschrieben, da sie so einfacher zu memorieren waren (siehe z.B. 醫方抄本, Slg. Unschuld 8170; 藥性歌括, Slg. Unschuld 8214; 李東垣先生藥性賦, Slg. Unschuld 8226).

Schreibmaterial, Bindung, Formate

Die meisten der Manuskripte sind auf Papier eher schlechter Qualität geschrieben. Seidenpapier, das für Ming-zeitliche Handschriften typische Papier, ist hier eher selten anzutreffen. Die Mehrzahl der Texte findet sich auf dem für die Qing-Zeit typischen Bambuspapier, auf grobem, robustem Papier aus Reisstroh (藥性歌括, Slg. Unschuld 8214) oder auf wahrscheinlich von den Schreibern selbst hergestelltem Papier. Viele der Manuskripte weisen eine primitive Bindung auf, oftmals wurden lediglich Papierfäden durch zwei oder drei Löcher gezogen (z.B. 五官科用藥手册, Slg. Unschuld 8005; 醫藥歌賦, Slg. Unschuld 8008). Das Format beträgt gewöhnlich – in Anlehnung an gedruckte Bücher – 20 bis 25 x 10 bis 15 cm. Einige Manuskripte sind auf langen, zu Leporellos gefalteten Papierbögen geschrieben. Dieses Format war für Wanderärzte und -heiler von größerer Zweckmäßigkeit, da sie leicht auf der gewünschten Seite aufgeschlagen, aber auch entfaltet werden konnten und so schnell als Ganzes erfassbar waren, z.B. im Fall von Arzneimittellisten. Die Titel haben Taschenformat und sind zum Schutz in Schubern aus mit blauem Stoff bezogener Pappe verstaut (z.B. 幼科摘要, Slg. Unschuld 8422). Des Weiteren finden sich unter den Berliner Manuskripten sieben Rollen, ein für medizinische Texte eher seltenes Format (z.B. 醫方卷子之一至之七, Slg. Unschuld 8255-8261).

Was macht die Sammlung so einzigartig?

Die große Mehrheit der Texte zu chinesischer Medizin in chinesischen Bibliotheken sind gedruckte Bücher. Den für den Gebrauch bestimmten medizinischen Handschriften wurde keine große Wertschätzung entgegen gebracht. Auch in chinesischen Antiquariaten trifft man nur sporadisch auf dieses Schrifttum, da auch hier ein vor allem bibliophil orientierter Markt bedient wird. Wenn überhaupt, werden Manuskripte dieser Art an Straßenständen und auf Flohmärkten angeboten. Chinesische Forschung zur traditionellen Medizin arbeitet nach Aussage von Paul U. Unschuld bislang kaum mit Manuskripten, obwohl diese Literatur einer breiteren und vielschichtigen Autorenschaft entstammt als die gedruckte und sie daher einen neuartigen Zugang zur therapeutischen Praxis im traditionellen China ermöglicht.

Katalog, Titelnachweis, weitere Quellen und weiterführende Literatur im Bestand der Staatsbibliothek

Die Sammlung ist bereits erschlossen in dem vom Sammler selbst in Zusammenarbeit mit Zheng Jinsheng herausgegebenen Katalog Chinese traditional healing. The Berlin collections of manuscript volumes from the 16th through the early 20th century. 3 Bde. Leiden u.a.: Brill 2012. Band 1 enthält eine umfassende Einführung in die Sammlung sowie zahlreiche Indizes, u. a. zur einschlägigen Terminologie, Band 2 und 3 geben die genaue Beschreibung der Manuskripte wieder (Mss. 8001-8449 bzw. 8450-48963). Der Katalog kann im Ostasienlesesaal der Staatsbibliothek unter der Signatur OLS Bb OA chin 50 eingesehen werden.

Zudem sind sämtliche Manuskripte im Online-Katalog der Ostasienabteilung nachgewiesen. Die tiermedizinischen Handschriften können mit einer Suche nach „Sammlung Unschuld/Ramey“ gemeinsam aufgerufen werden. Manuskripte mit dem Standortvermerk „Band im Besitz des Ethnologischen Museums, Staatliche Museen zu Berlin“ sind hier ebenfalls nachgewiesen, können jedoch nur im Ethnologischen Museum eingesehen werden.

338 Titel der Sammlung wurden bereits digitalisiert und sind über den Katalog oder direkt in den Digitalisierten Sammlungen der Staatsbibliothek zugänglich.

Die Digitale Sammlung der Staatsbibliothek, CrossAsia und die gedruckten Bestände der Sinica-Sammlung der Ostasienabteilung bieten zahlreiche weitere hilfreiche Ressourcen für die Arbeit mit der Sammlung oder allgemein zur traditionellen chinesischen Medizin. Neben den medizinischen Titeln in Datenbanken wie der Scripta sinica und der Jiben gujiku – beide verfügen über einen Zugriff nach Kategorie, i.e. 子部:醫家 bzw. 哲科庫:醫學類 – bietet CrossAsia auch Zugriff auf Apabi 中医古籍库 : Ancient Books of Traditional Chinese Medicine, eine Datenbank mit 255 Titeln (Drucke und Manuskripte) in über 1.600 Bänden. Titel der Jiben gujiku und Apabi Datenbank können auch direkt über den Ostasien-OPAC recherchiert werden.

An wichtigen digitalisierten Quellen finden sich in der Sinica-Sammlung der Ostasienabteilung folgende zwei rare Werke: Liu Wentai 劉文泰, Bencao pinhui jingyao 本草品彙精要 42 卷, Vorwort 1505, eine illustrierte handschriftliche Pharmacopoeia, verfasst im Kaiserlichen Medizinischen Institut der Ming (Sign.: Libri sin. Hirth Ms. 2, abrufbar in den Digitalen Sammlungen).

Ri Jichin 李 时珍, Bencao gangmu 本草綱目 52巻, [京都] : 野田弥次右衛門寛永 14 [=1637], die erste in Japan gedruckte Ausgabe des Bencao Gangmu mit in Japan geschnittenen Druckstöcken nach einer chinesischen Vorlage (Sign.: Libri sin. 102/107, abrufbar in den Digitalen Sammlungen).

Zu weiterführender Literatur gelangt man in Chinamaxx durch Anklicken der Systemstelle yiyao weisheng 医药卫生 und anschließend der Untergruppe Zhongguo yixue 中国医学 zu 17 Abteilungen innerhalb der chinesischen Medizin, die wiederum jede für sich mehrere hundert Titel versammelt. Im OPAC der Ostasienabteilung lassen sich relevante Titel mittels der Systemstelle für chinesische Medizin R2 und den dazugehörigen Untergruppen der Klassifikation für chinesische Bibliotheken (Zhongguo tushuguan fenleifa 中国图书馆分类法) oder auch mit einschlägigen Schlagwörtern wie zhongyi 中医, zhongyi dianji 中医典籍 etc. finden. Hierfür in der OPAC-Suche „Klassifikation“ bzw. „Alle Wörter“ auswählen.