Ergebnisse der Umfrage zu den Forschungsbedingungen in den chinabezogenen Wissenschaften in Europa

Vom 24. August bis 27. August 2021 fand die 23. Konferenz der European Association for Chinese Studies (EACS) statt. Sie wurde als Online-Konferenz vom Ostasiatischen Institut der Universität Leipzig ausgerichtet. In Vorbereitung auf und begleitend zur Konferenz hatte CrossAsia zur Teilnahme an einer Umfrage zur Ermittlung der Forschungsbedingungen in den chinabezogenen Wissenschaften in Europa aufgerufen.

Wir möchten Ihnen an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für Ihre Teilnahme an der Umfrage, deren Ziel es war, die Bedürfnisse und Wünsche der Forschergemeinschaft besser zu verstehen,  und mehr über die Bedingungen und Anforderungen in den chinabezogenen Wissenschaften in Europa zu erfahren, danken. Gemeinsam mit europäischen Partnerbibliotheken möchten wir dazu beitragen, die Bedingungen für die Asienforschung in Europa durch den Aufbau eines europäischen Wissens- und Lizenzierungsnetzwerks nachhaltig zu verbessern. Daher sollten Antworten auf Fragen hinsichtlich der Priorisierung von Ressourcenarten, des Verständnisses rund um die Prozesse bei der Lizenzierung von E-Medien, der Verbreitung und Nutzung von Digital Humanities-Methoden und der internationalen Vernetzung von Wissenschaftler:innen und sich daraus ergebenden Synergien beim Zugang zu Ressourcen gefunden werden. Diese Antworten sollen nun im Folgenden vorgestellt werden.

Charakterisierung der Teilnehmenden
An der 23. EACS nahmen insgesamt 630 Personen teil. Wir haben 132 vollständig ausgefüllte Fragebögen erhalten. Ausgewertet wurden nur die Fragebögen, die von Personen stammen, die aktuell mit einer europäischen Forschungseinrichtung assoziiert sind.
An der Umfrage haben Wissenschaftler:innen aus 24 europäischen Ländern teilgenommen. Die meisten Befragten (29%) sind in Deutschland tätig, gefolgt von Großbritannien und Italien (jeweils 12%). Die anderen Staaten liegen bei unter 5 %.
In Deutschland gibt es mit dem Fachinformationsdienst Asien (FID Asien) und der Onlineplattform CrossAsia ein gut entwickeltes Angebot zur Versorgung der Forschenden mit Ressourcen zu den Asienwissenschaften und hier insbesondere zu den chinabezogenen Wissenschaften. Vor diesem Hintergrund und im Angesicht des vergleichsweise starken Anteils von in Deutschland tätigen Teilnehmern an der Umfrage wird ein Ungleichgewicht in den Antworten in die Betrachtung einfließen.

Abbildung 1 Teilnehmer:innen der Umfrage auf Länder aufgeteilt

Die klare Mehrheit der Teilnehmenden (98,49%) ist an einer wissenschaftlichen Einrichtung tätig, der überwiegende Anteil davon wiederum (90,91%) an einer Universität bzw. Hochschule. In der Regel besteht dort Zugang zu einer Bibliothek zwecks Bereitstellung der benötigten Ressourcen.

Abbildung 2: Institutionelle Anbindung der Befragten

Wie erwartet nannten mehr als 97% der Befragten die VR China als ihren Hautforschungsschwerpunkt, mehr als 21% nannten darüber hinaus Taiwan. In der Regel werden die Anrainerstaaten Chinas nicht in die Forschung einbezogen, einzelne Forscher:innen arbeiten jedoch zu Themen die auch Japan, Südkorea, die Mongolei, Russland, Südostasien und in geringem Umfang auch Südasien betreffen.

Abbildung 3 Anzeige der Hauptforschungsregionen (bis zu drei Nennungen pro Person möglich)

Hinsichtlich der thematischen Ausrichtung der Forschungsinhalte zeigt sich deutlich, dass klassische textorientierte historische Themen in der Regel unter den Befragten in allen europäischen Staaten am stärksten vertreten sind (35,82%). Eine Ausnahme bilden die Rückmeldungen aus Russland. Hier gaben alle Teilnehmenden an, dass die Geschichtswissenschaften nicht zu ihren Hauptinteressen gehören. Ein weiteres stark vertretenes Gebiet ist Literatur/Philologie (24,88%). Gebiete, zu denen weniger Wissenschaftler:innen forschen, sind: Kunstgeschichte, Linguistik, Philosophie, Politikwissenschaften, Religionswissenschaften und Soziologie (ca. jeweils 10%). Zu den Bereichen Anthropologie, Archäologie/Ur- und Frühgeschichte, Wirtschaft, Bildung/Bildungswissenschaften, Kulturgeographie, Rechtswissenschaft , Bibliotheks- und Informationswissenschaften sowie Medien-, Informations- und Kommunikationswissenschaften (jeweils 5% oder weniger) forschen nur einzelne wenige Wissenschaftler:innen. Die Auswertung ergibt, dass nach wie vor die „traditionellen“ Gebiete der chinabezogenen Wissenschaften am stärksten vertreten sind. Aber auch kleinere oder neuere Wissenschaftsgebiete sind repräsentiert. Die Heterogenität der europäischen chinabezogenen Forschung spiegelt sich in den Teilnehmer:innen der Befragung wider.

Zugang zu Ressourcen
Das Ziel der Befragung war es, einen Überblick über die Zugangsoptionen zu Informationsressourcen in der europäischen chinabezogenen Forschung zu gewinnen.
Eine zentrale Frage ist dabei die nach der Bedeutung unterschiedlicher Quellentypen. In der Umfrage wurde zwischen Print- und Online-Ressourcen unterschieden. Als E-Ressourcen werden hier online verfügbare Quellen und Fachinformationen bezeichnet, die in verschiedensten Formen, beispielsweise als E-Books, elektronische Zeitschriften, in lizenzpflichtigen Datenbanken oder im Open Access vorliegen.

Abbildung 4: Bedeutung von Print-Ressourcen für die Teilnehmenden

Abbildung 5: Bedeutung von elektronischen Ressourcen für die Teilnehmenden

Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden dieser Umfrage (89,39%) schätzt die E-Ressourcen als wichtiger ein als die gedruckten. Dies zeigt, dass Zugang auch zu elektronischen Ressourcen mittlerweile eine unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Forschung ist. Betrachtet man nur die deutschen Teilnehmer:innen, dann verstärkt sich dieser Eindruck marginal (rund 95% der deutschen Teilnehmer:innen halten E-Ressourcen für essentiell). Nichtsdestotrotz werden auch gedruckte Medien als wichtig erachtet. 87 % der Teilnehmenden halten sie für wesentlich, wichtig bzw. nach wie vor wichtig.

Abbildung 6 Nutzung von verschiedenen Materialarten (bis zu drei Antworten pro Person möglich).

 

Die Materialarten spiegeln die Forschungsinteressen der Befragten wider, die in der Mehrzahl historisch bzw. philologisch/linguistisch orientiert sind.

Zugang zu E-Ressourcen
Neben dem festgestellten Bedarf an E-Ressourcen für die chinabezogene Forschung in Europa sind die Verfügbarkeit und der Zugang zentrale Themen.

Abbildung 7 Zugang zu Datenbanken über die jeweilige Institution

Diese Graphik zeigt deutlich, dass es der Mehrzahl der Befragten am Zugang zu den für ihre Forschung essentiellen Datenbanken mangelt. Wissenschaftler:innen, die an deutschen Institutionen tätig sind, haben diese Frage deutlich positiver beantwortet. Über 74% der Befragten gaben an, Zugang zu den benötigten Quellen zu haben, in den optionalen Kommentaren wurde vielfach auf CrossAsia verwiesen.
Um Zugriff auf E-Ressourcen anbieten zu können, müssen diese in der Regel lizenziert werden. Die Umfrage hat gezeigt, dass der gesamte Prozess der Lizenzierung für die Wissenschaft relativ intransparent gestaltet ist. Im ersten Schritt wissen lediglich etwa 17% der Befragten nicht mit Sicherheit, wer neue Ressourcen zur Lizenzierung vorschlagen darf. Hingegen wissen bereits mehr als 31% der Befragten nicht, wer an den Prozessen zur Evaluierung neuer Ressourcen im eigenen Institut beteiligt ist. Mehr als 33% können nicht die Personen benennen, die letztendlich über eine Lizenzierung von E-Ressourcen entscheiden. Angesichts der dringenden Notwendigkeit, elektronische Ressourcen besser als bislang in die Informationsversorgung zu integrieren, sollten Studierende und Forscher:innen stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Digital Humanities
Methoden im Bereich Digital Humanities werden in der Regel erst anwendbar, wenn die erforderlichen E-Ressourcen vorliegen oder Daten generiert werden können. Deshalb stellt die Verfügbarkeit von entsprechenden Online-Ressourcen eine direkte Bedingung für die problemlose Umsetzbarkeit von DH-Projekten, die solche Quellen benötigen, dar.

Abbildung 8 Nutzung von DH-Methoden in der Forschung der Befragten.

 

Die gestiegene Bedeutung von Digital Humanities in der chinabezogenen Forschung wird auch in der obenstehenden Graphik deutlich. Sie zeigt, dass bereits knapp 50% der Befragten mit DH-Methoden arbeiten oder dies zumindest vorhaben. Dieses positive Gesamtbild ist gleichmäßig über Europa verteilt.
Hinsichtlich verschiedener Tools sieht die Verteilung wie folgt aus:

Abbildung 9 Verteilung der benutzten DH-Tools

Es ist wenig überraschend, dass zwei textbasierte Methoden (Text and data mining, textual analysis) am häufigsten (mit 30,30% sowie 25,00%) genannt werden, haben doch die meisten Teilnehmenden einen philologisch/historischen Forschungshintergrund geltend gemacht. Dem entgegen steht die eingeschränkte Verfügbarkeit der dafür benötigten Daten, 22,95 % der Befragten gaben an, nicht über einen entsprechenden Zugang zu verfügen.

Abbildung 10 Zugang zu lizenzierten Datenbanken um DH-Projekte durchführen zu können.

Die Vernetzung der Forschenden untereinander war ebenfalls ein Punkt der Umfrage. Ziel war es hier herauszufinden, inwieweit Wissenschaftler:innen, die in ihrem Land eventuell keinen Zugang zu wichtigen Ressourcen haben, durch ihre Anbindung an internationale Forschungsprojekte Zugangsmöglichkeiten zu den benötigten Informationen erlangen.

Abbildung 11 Teilnahme der Befragten an internationalen Forschungsgruppen

Derzeit sind im europäischen Rahmen in den chinabezogenen Wissenschaften internationale Forschungsgruppen noch die Ausnahme, nur etwa 1/5 der befragten Wissenschaftler:innen partizipiert daran. Dass nahezu 45% planen, sich in einer internationalen Forschungsgruppe zu engagieren, zeigt das Interesse von Seiten der Forschenden. Jedoch wirkt sich die Mitarbeit in einem internationalen Forschungsprojekt nicht zwangsläufig auch auf die Zugänglichkeit der dortigen Ressourcen aus. Nur 9% der Befragten haben Zugang zu den Ressourcen der Partnerinstitutionen, 21% hingegen nicht.

Fazit
Die chinabezogene Forschung in Europa zeigt sich im Spiegel der Umfrage als geisteswissenschaftlich dominiert mit einem Fokus auf die VR China. Der Zugang zu Ressourcen, unabhängig ob print oder online, wird als sehr wichtig eingeschätzt, E-Ressourcen wird eine größere Bedeutung beigemessen. Dabei ist der Zugang vor allem zu letzteren nicht überall gesichert. Ein Grund könnte das fehlende Wissen rund um die Prozesse der Lizenzierung sein. Wenn diese besser kommuniziert würden, könnten Forschende an den richtigen Stellen Einfluss nehmen, ihre Vorschläge und Wünsche unterbreiten.
Eine positive Ausnahme in Europa bildet die Literaturversorgung für die Forschenden in Deutschland. Dort haben wesentlich weniger Wissenschaftler:innen gravierende Probleme bei der Beschaffung der für ihre Forschungen benötigten Informationen. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Hauptgrund dafür der Fachinformationsdienst Asien mit dem Onlineangebot CrossAsia ist, der eng mit den Forschenden zusammenarbeitet, um die benötigten Materialien verfügbar zu machen. Als Beleg können zahlreiche Nennungen in den Kommentaren gelten.
Die Ergebnisse der Umfrage bestätigen die Erwartungen, dass der Zugang zu E-Ressourcen in Europa nicht einheitlich gut ist, es große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern hinsichtlich der Versorgung mit den benötigten Materialien gibt und die Prozesse, die zur Lizenzierung einzelner Datenbanken führen, nicht transparent sind.
Der hohe Grad der Spezialisierung der einzelnen Wissenschaftler:innen führt zu vielfältigen Nutzungswünschen. Mit einem gemeinsamen und koordinierten Vorgehen, gerade auch im Hinblick auf die stetig wachsende Digitalisierung und die Zunahme von DH-Projekten sollte versucht werden, dieser Diversität besser gerecht zu werden.
Um den Zugang zu elektronischen Medien zu erleichtern, sind die Beratung von Wissenschaftler:innen und Mitarbeiter:innen aus den Bibliotheken und Informationszentren, das Teilen von Informationen rund um das Thema Lizenzierung sowie der Austausch von Erfahrungsberichten unabdingbar.
Durch langfristige internationale Zusammenarbeit und zuverlässige Koordinierung der unterschiedlichen Partner kann und sollte, unserer Ansicht nach, eine Verbesserung der Zugangsbedingungen für die europäische Forschungsgemeinschaft erreicht werden. Der FID Asien sieht sich hier in der Pflicht und möchte diese Aufgabe gern gemeinsam mit Ihnen in Angriff nehmen.